Resilienz und Erneuerung
Leiko Ikemuras Präsentation With Blue Birds

Das PalaisPopulaire widmet der schweizerisch-japanischen Künstlerin Leiko Ikemura im Rahmen der Reihe SculpturePopulaire eine Präsentation mit Skulpturen, Malereien und frühen Papierarbeiten.

Im Christentum, in westlichen und östlichen Mythologien ist der Hase ein uraltes Symboltier, das nicht nur für Fruchtbarkeit und Überfluss steht, sondern auch für Opfer und Wiedergeburt. Auch in der zeitgenössischen Kunst spielt er eine geradezu mythologische Rolle: Beuys versuchte in einer berühmten Performance, einem toten Hasen die Kunst zu erklären, der Waliser Barry Flanagan wurde in den 1980er Jahren mit seinen in ganz Europa präsenten Hasenskulpturen aus Bronze berühmt.

Auch in der Kunst von Leiko Ikemura spielt dieses Motiv eine zentrale Rolle. Allerdings ist es bei ihr kein Hase, sondern eine Häsin, oft mit menschlichen Zügen, gekleidet in einen bodenlangen Rock, der sich öffnet und den Blick in eine geheimnisvolle, fast kosmische Leere freigibt. Viele der weiblichen Figuren in Ikemuras skulpturalem Werk tragen konische, hohle Röcke, die an rituelle Gewänder oder Architekturen erinnern und die Beziehung zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung thematisieren.

Die Häsin taucht erstmals 2011, nach der Atomkatastrophe von Fukushima, in Ikemuras skulpturalem Werk auf, das sich aus der Malerei entwickelt. In ihrer Heimat Japan ist die mythologische Figur als Mondhase bekannt, als „Tsuki no Usagi“. Das Wesen mit den Kaninchenohren und dem Menschengesicht ist bei Ikemura ein Symbol für universelle Trauer, aber auch für Resilienz und Erneuerung.

Sie ist eine Wanderin zwischen den Welten. In Japan geboren und aufgewachsen beginnt sie in den 1970er Jahren ein Kunststudium in Spanien und zieht anschließend in die Schweiz. Anfang der 1980er Jahre kommt sie nach Deutschland und wird als Malerin international bekannt. In der Sammlung Deutsche Bank ist sie seit Beginn ihrer Karriere mit vielen Werken vertreten. Das PalaisPopulaire widmet ihr nun im Rahmen der Reihe SculpurePopulaire die Präsentation With Blue Birds - mit einer Skulptur im Außenraum und einer Präsentation in der Rotunde, in der die frühen Papierarbeiten aus der Sammlung, neuere Gemälde der Künstlerin und eine zweite skulpturale Arbeit, Hasensäule III (2022) zu sehen sind.

In Ikemuras Bildern, Keramiken und Skulpturen verbinden sich traditionelle Einflüsse asiatischer und europäischer Kunst und Kultur. Die alten japanischen Meister inspirieren sie ebenso wie der Surrealismus, die Nachkriegsmoderne und die figurative Malerei der 1980er Jahre. Ihre Bilder sind bevölkert von hybriden, mythologischen Wesen, Mädchen und Frauen, die sich im Übergang zwischen Mensch, Tier und Pflanze befinden. Immer geht es auch um psychologische, soziale und spirituelle Zustände, um das Verhältnis von Zivilisation und Natur. Ikemura entwickelt dabei eine weibliche, visionäre Welt und einen oft abgründigen Blick auf gesellschaftliche, spirituelle und ökologische Themen.

Ikemuras auf einem Sockel auf dem Bebelplatz installierte Skulptur Figur mit drei Vögeln (2021) ist kopflos. Aber sie trägt den typischen Rock, der an die Tracht der Derwische erinnert. Vögel haben sich auf ihren Schultern niedergelassen, als wären sie Gedanken, die an die Stelle des menschlichen Geistes getreten sind. Die Arme hält sie schützend vor die Brust, was Stärke und zugleich extreme Verletzlichkeit signalisiert. Sie wirkt wie eine Warnung und zugleich wie ein Plädoyer für ein neues emphatisches Denken.

Die runde Form des Rocks wird in der Rotunde im Inneren des Hauses wieder aufgegriffen, in deren Mitte die totemistische Hasen-Säule III steht, die von frühen, selten gezeigten Zeichnungen umgeben ist. Von hier aus geht der Blick in einer Art Kreisbewegung ins Freie und wieder zurück zur Außen-Skulptur – in einer fast heiteren Meditation über den fragilen Zustand der Welt.