Fremde überall:
Künstler*innen aus der Sammlung Deutsche Bank
auf der Biennale in Venedig
Die Biennale von Venedig gilt als das wohl wichtigste Kunstereignis der Welt. Unter dem Titel „Foreigners Everywhere“ beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe mit Migration, Exil und Fremdheitserfahrungen. Wir stellen Beiträge von Künstler*innen vor, die in der Sammlung Deutsche Bank vertreten sind. Und besuchen zwei Pavillons, die die Themen wie Krieg, Fremdheit und Entwurzelung unter die Haut gehen lassen.
Seit die argentinische Künstlerin La Chola Poblete von der Deutschen Bank zur „Künstlerin des Jahres“ 2023 gekürt wurde, hat ihre Karriere rasant an Fahrt aufgenommen. Dazu trägt auch bei, dass sie in der von dem Brasilianer Adriano Pedrosa kuratierten Hauptausstellung der Biennale, "Foreigners Everywhere", vertreten ist. Pedrosa, dessen Beitrag als erster Kurator der Biennale aus Südamerika mit Spannung erwartet wurde, untersucht mit vielen in Europa kaum bekannten Künstler*innen und aktuellen, aber auch historischen Werken unterschiedliche Aspekte des Fremden. Zugleich schafft die Schau Sichtbarkeit vor allem für die südamerikanische Szene, für die Kunst indigener Völker, für Werke von queeren Künstler*innen, für Positionen, die immer noch unter die umstrittene Bezeichnung "Outsider Art“ fallen.
Auf der Fassade des zentralen Pavillons in den Giardini wurde das makellose Weiß des neoklassizistischen Gebäudes programmatisch durch ein farbenfrohes, schillerndes Muster ersetzt, das die Flora und Fauna des Amazonas darstellt. Es ist das Werk des Künstler*innenkollektivs MAHKU, das dem indigenen Volk der Huni Kuin angehört, und seine Wurzeln an der Grenze zwischen Brasilien und Peru hat. Die Ausstellung kritisiert die Verdrängung und Unterdrückung nicht-westlicher Kunst und Kultur, zeigt aber auch die Kreativität und den Widerstand, der aus dieser Marginalisierung erwächst.
La Chola Poblete, deren große Soloschau im September vom Berliner Palais Populaire ins Mailänder Museo delle Culture wandert, passt perfekt in dieses Konzept. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit den Folgen von Kolonialismus, der Auslöschung und Stereotypisierung indigener Kulturen und thematisiert zugleich die historischen Rollen von Frauen und Transmenschen, Formen von Weiblichkeit, die von religiösen, patriarchalen Ideologien verfolgt, verehrt oder geopfert wurden. Die Aquarelle, die sie in Venedig zeigt, sind mit aus abstrakten, religiösen, mythologischen und popkulturellen Motiven überzogen und thematisieren die ambivalente Figur der heiligen Jungfrau, die hybride Verbindungen mit der Gottheit Patchamama eingeht. Für ihren Beitrag wurde sie gleich zu Beginn der Biennale mit einer „Special Mention“ ausgezeichnet. Mit ihr erhielt zum ersten Mal in der Geschichte der Kunstbiennale eine transsexuelle und nicht-weiße Künstlerin eine "besondere Erwähnung". "Ich hoffe, dass ich weitere Türen öffnen kann, damit sich andere Menschen wie ich von Kategorien und Festlegungen befreien können", sagte sie bei der Preisverleihung.
La Chola Poblete
Installation View, Foreigners Everywhere, Arsenale
Courtesy:La Biennale di Venezia
Der 1962 geborene britisch-nigerianische Künstler Yinka Shonibare, ist eng mit dem Kunstengagement der Deutschen Bank und ihrer Partnerschaft mit der Frieze verbunden. Er ist einer der wenigen prominenten Künstler*innen, die in der Hauptausstellung zu sehen sind – auch als Pionier des postkolonialen Diskurses. Shonibare arbeitet in seinen Werken häufig mit den "traditionellen" Mustern der in Afrika beliebten "Dutch-Wax"-Stoffe, die erst im 19. Jahrhundert im Zuge der Kolonialisierung über die Niederlande nach Afrika kamen. Dabei hinterfragt er das Verhältnis von "afrikanischer" Ästhetik und westlicher Moderne. Auch seine Skulptur aus Serie „Refugee Astronaut“ ist so entstanden. Sie greift die Idee des Weltraums als letzte Zuflucht und Mülldeponie auf und ist eine Warnung vor der endgültigen Zerstörung der Umwelt.
So deutlich diese Botschaft ist, so vage erschien vielen Kritiker*innen der Kontext der Ausstellung. Während man sich einig war, dass Pedrosa eine Bühne für absolut wichtige Kunst bereitet hat und sich auf produktive Verwirrung eingestellt hatte, wurden häufig die fehlenden Hintergrunderläuterungen, die konventionellen museologischen Arrangements kritisiert. „Das Hauptmanko von "Foreigners Everywhere" ist, dass die Ausstellung versucht, eine Reihe einzigartiger Erfahrungen unter dem Begriff "Outsider" zu vereinen, als ob Künstler*innen, die queer, indigen, autodidaktisch und/oder aus dem globalen Süden stammen, irgendwie alle gleich wären.“, schrieb das Kunstmagazin Frieze, „Nichtsdestotrotz zeigt die Ausstellung einige faszinierende Werke.“
Yinka Shonibare
Refugee Astronaut VIII, 2024
Foreigners Everywhere, Arsenale
Courtesy:La Biennale di Venezia
Da lohnt sich der Blick in die nationalen Pavillons, etwa den Nigerianischen Pavillon, wo die Schau Nigeria Imaginary „eine generationenübergreifende Sichtweise aus der Diaspora entwickeln will, um sich ein Nigeria für die Zukunft vorzustellen“. Und auch hier ist natürlich Shonibare – vertreten - mit einem neuen Werk. Viele der nationalen Pavillons fokussieren sich eingehender auf die Themen der Hauptausstellung, so auch die Beiträge von Künstler*innen aus der Sammlung Deutsche Bank. Der Londoner Künstler John Akomfrah wurde mit Film- und Videoinstallationen berühmt, die postkoloniale Geschichte auf völlig neue, assoziative Weise erzählen. Im Britischen Pavillon beeindruckt seine Installation „Listening All Night To The Rain“ mit einem Overload von Monitoren, Sound Bildern. „Der Alptraum des Künstlers über koloniales Exil, Ökologie und Globalisierung - der sich in sechs miteinander verbundenen Videoinstallationen endlos wiederholt - lässt einen verunsichert, verstört und nach Luft ringend zurück“, schrieb Adrian Searle, der Kritiker des Guardian - und riet zu mehrmaligen Besuchen.
John Akomfrah
Listening all Night to the Rain, British Pavillion
Courtesy:La Biennale di Venezia
Die Installation, die Eva Koťátková mit der Kuratorin Hana Janečková für die Tschechische Republik realisiert hat, gleicht einem monumentalen Friedhof der Kuscheltiere. Doch tatsächlich greift Koťátková die Geschichte der Giraffe Lenka auf, die 1954 in Kenia gefangen und in den Prager Zoo gebracht wurde – als erste „tschechoslowakische“ Giraffe. Sie überlebte nur zwei Jahre in Gefangenschaft, danach wurde ihr Körper dem Prager Nationalmuseum gestiftet, wo er bis zum Jahr 2000 ausgestellt war. Koťátková entfaltet daraus ein ebenso anrührendes wie bitterböses Narrativ über Kolonialgeschichte, die Ausbeutung und Unterwerfung nicht-menschlicher Lebewesen.
Eva Kotátková
The heart of a giraffe in captivity is twelve kilos lighter
Czech and Slovak Republic Pavilion
Courtesy:La Biennale di Venezia
Im Kanadischen Pavillon greift Kapwani Kiwanga mit ihrer Installation „Trinket“ das Motiv der winzigen, in Murano hergestellten Glasperlen auf, die als Tauschobjekt für Gewürze, Elfenbein, Palmöl oder sogar Sklaven die Geschichte Venedigs und auch der Kolonialherrschaft geprägt haben. Für "Trinket" wurden sieben Millionen Perlen aneinandergereiht und zu einem riesigen Netz von Vorhängen zusammengefügt - eine groß angelegte architektonische Intervention, die den Pavillon wie eine einzige Skulptur erscheinen lässt. Die Präsentation scheint sich tatsächlich vor den Augen des Betrachters zu drehen, zu wandeln und zu verändern.
Kapwani Kiwanga
Trinket, Canadian Pavillon
Courtesy:La Biennale di Venezia
Der von Wael Shawky bespielte ägyptische Pavillon ist eine dramatische Parabel. Seine Filminstallation „Drama 1882“ setzt sich mit historischen Details und Vorstellungen von Souveränität auseinander und schildert den Urabi-Aufstand zwischen 1879 und 1882 gegen die britischen Kolonialherrscher in Ägypten. Erstmals arbeitet der Künstler, der in seinen Filmen historische Ereignisse, wie die Plünderungen und Massaker der mittelalterlichen Kreuzzüge bislang durch Marionetten darstellen ließ, hier mit Schauspielern.
Last, but not least fragten wir Britta Färber, Global Head of Art & Culture der Deutschen Bank, welche Länderpavillons sie besonders beschäftigt haben. „Mich haben zwei künstlerische Positionen wirklich berührt, weil sie sich sehr konkret mit Erfahrungen von Krieg, Flucht, Exil und Verlust beschäftigen: Anna Jermolaewa, die den österreichischen Pavillon bespielt, und ukrainische Kollektiv Open Group, das als Gast Polen vertritt. In beiden Fällen steht Russland als der Inbegriff eines autoritären, repressiven Systems im Fokus. Beide Präsentationen vermittelten eine Dringlichkeit, gehen unter die Haut, weil sie so persönlich und unprätentiös sind und für mich zugleich auch künstlerisch herausragen.“
Dem Beitrag der Open Group ging allerdings eine Art Kulturkampf voraus. Die Künstler*innen wurden in letzter Minute anstelle des nationalistischen Malers Ignacy Czwartos eingeladen, der unter der vorangegangenen rechten Regierung Polens ausgewählt worden war – um dann im Dezember von der neuen, liberaleren Regierung wieder abgewählt zu werden. „Repeat After Me“, das Video-Projekt der Open Group, schafft eine anrührende, aber auch schwer erträgliche Situation. Ukrainische Zivilisten imitieren mit ihren bloßen Stimmen die Geräusche des Krieges, machen erstaunlich genau Luftschutzsirenen, Panzern, Luftangriffe, oder Mörserbeschuss nach. Die Installation ist wie in einer Karaoke- Bar eingerichtet, die Besucher*innen können wiederrum diese Geräusche imitieren.
Open Group
Repeat after Me, 2024
Polish Pavillon
Courtesy:La Biennale di Venez
„Fremde Überall“, das Thema der Biennale wird von Anna Jermolaewa im österreichischen Pavillon virtuos umgesetzt. Sie lässt das Publikum die Fremdheit und Entwurzelung spüren, die sie 1989 als Dissidentin bei ihrer Ankunft in Österreich fühlte. Zu sehen sind Relikte aus ihrer Heimat in der ehemaligen UdSSR, die verlassen musste. Ein Video zeigt, wie sie am Westbahnhof in Wien versucht, eine Schlafposition zu finden, so wie damals bei ihrer Ankunft. Ein Video und eine Tanzperformance, in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Choreografin Oksana Serheieva entstanden, drehen sich um Proben von „Schwanensee“, ein Ballett, das im sowjetischen Fernsehen anstatt des normalen Programms immer dann gezeigt wurde, wenn ein Regimewechsel bevorstand. Die Botschaft ist klar, man probt auch hier für das Ende des Krieges und des Putin-Regimes.
Beide Pavillons verdeutlichen, dass dies eine besondere Biennale in besonderen Zeiten ist, dass für Demokratie auch in der Kunst gekämpft werden muss, dass auch wir die sein können, die solche Erfahrungen von Fremdheit machen müssen.
Anna Jermolaewa
Installation View, Austrian Pavillon
Courtesy:La Biennale di Venezia
Bühne:
Impressionen1; Impressions Venice Biennale; Courtesy:La Biennale di Venezia
Impressionen2; Impression, Foreigners Everywhere, Main Pavillon; Courtesy:La Biennale di Venezia