The Struggle of Memory: Ausgewählte KünstlerInnen II
Wangechi Mutu *1972, Nairobi, Kenia
Lebt und arbeitet in New York, USA Wangechi Mutu wurde in den 2000er-Jahren mit ihren märchenhaften Serien von mit Mischtechniken kombinierten Collagen und Gemälden bekannt, die fremdartige Frauengestalten darstellen. Sie beschäftigt sich mit den Themen Sexualität, Geschlecht, Rasse und Kolonialismus. Mutu setzt diese in Skulpturen, Papierarbeiten, Installationen und Videos um und hinterfragt darin die Gewalt und Falschdarstellungen, denen schwarze Frauen ausgeliefert sind. Dagegen setzt sie die von ihr geschaffenen kraftvollen alternativen weiblichen Identitäten und Avatare. In Werken wie Howl, 2006, und Homeward Bound, 2009 -2010, kombiniert sie Bildfragmente aus vielfältigen Quellen und erschafft skurril wirkende Figuren: Mutanten mit maschinenähnlichen Extremitäten, die aus ihren Körpern wachsen, oder doppeldeutige Tier-Mensch-Hybriden, die sowohl verführerisch als auch abstoßend wirken. Wie Mutu feststellt, ist ihr verändertes Aussehen „teils Verkleidung, teils Tarnung, teils Kampfausrüstung“. Weitere fiktive Gestalten bevölkern Mutus Serie The Original Nine Daughters, 2012: Arbeiten auf Papier mit Vintage-Zeichnungen und afrofuturistischen Fantasien. In jedem Bild werden grafische Techniken wie Radierung, Prägung, Collage, Schablone, Linolschnitt, Aquatinta, Buchdruck und Handkolorierung unterschiedlich miteinander kombiniert. Diese Serie, mit der Mutu ihre technische Bewandtheit und ihren Erfindungs-reichtum beweist, nimmt Bezug auf den Ursprungsmythos des Stamms der Ki-kuyu, der größten ethnischen Gruppe Kenias, von der auch sie abstammt. Der Legende nach zeugte der Stammesvater Gikuyu neun Töchter, die wiederum jeweils einen der neun ursprünglichen Stämme Kenias gründeten (der Name der Künstlerin leitet sich tatsächlich von Wangechi ab, einer der neun Töchter). Von dieser Erzählung ausgehend, stellt Mutu die neun Töchter als wundersame Hybridwesen dar. Mit ihren Krallen, Flügeln, Federn und Greifern beunruhigen und bezaubern sie zugleich. Einige sind mit Stecknadeln oder Beschriftungen versehen, die verschiedene Körperteile hervorheben – eine Anspielung auf wissenschaftliche Diagramme der viktorianischen Zeit und rassistische Theorien, die die Bevölkerung Afrikas bis weit in das 20. Jahrhundert hinein verunglimpften. Wie in vielen Arbeiten der Künstlerin thematisieren diese Gestalten die Zersplitterung weiblicher Identität, indem sie fantasievoll auf die Art und Weise aufmerksam machen, wie Frauen überleben indem sie verschiedene Rollen und Gestalten annehmen. Bei Mutu stehen sie für eine Form moderner Mythenbildung im postkolonialen Kontext, die auf eine imaginäre Zukunft verweist in der Frauen unangreifbar und von Gewalt, Rassismus und Frauenfeindlichkeit befreit sind.
Wangechi Mutu erhielt als erste Künstlerin 2010 die Auszeichnung Deutsche Bank’s „Artist of the Year“.
Berni Searle *1964, Kapstadt, Südafrika
Lebt und arbeitet in Kapstadt, Südafrika Seit den 1990er-Jahren arbeitet Berni Searle mit filmischen Medien und Performance. Ihren Inszenierungen befasst sie sich mit Themen der Geschichte, Identität, Erinnerung, mit Orten und mit ihren Erfahrungen im Apartheidsregime Südafrika und während des Übergangs zur Demokratie. Häufig setzt sie den eigenen Körper in ihren politisch und sozial engagierten Arbeiten als Ausgangspunkt ein und greift sichtbare und unsichtbare Traumata auf. Auch wenn sie in der tatsächlichen soziopolitischen Wirklichkeit von Südafrika verwurzelt ist, weisen ihre poetischen Metaphern universeller Themen – Verletzlichkeit, Verlust und Unterdrückung – weit über ihren ortsgebundenen Kontext hinaus. Die Serie Color Me, 1998–2000, besteht aus Fotografien und Installationen, die aus einer Performance hervorgegangen sind. Dabei bedeckte Searle ihren nackten Körper mit Gewürzpulvern unterschiedlicher Farben und Mehl. Als Mensch gemischter Herkunft wuchs Searle als „Farbige“ auf, womit in Südafrikas Apartheid alle mit gemischter europäischer und afrikanischer oder asiatischer Herkunft bezeichnet wurden. Color Me lässt sich als Geste des Widerstands gegen diese einschränkende und rassistische Definition von Identität lesen, eine Zuordnung, die ihr vom Unterdrückungsstaat aufgezwungen wurde. In einer Aufnahme der Serie liegt sie auf dem Boden und ist in dick aufgetragene Schichten von rotem Paprika, gelbem Kurkuma, braunen gemahlenen Nelken und weißes Erbsenmehl gehüllt. Sie wendet ihren Kopf zur Kamera und ihre Augen sehen uns an, während wir ihre Haut betrachten. Die Auswahl der Gewürze spielt auf Rassestereotypen ebenso wie auf den kolonialen Gewürzhandel und seine Verknüpfung mit der Sklaverei an. Im Fokus ihres Projekts steht jedoch die instabile Identität im Südafrika nach der Apartheid. Diesen Ansatz verfolgt sie in der Installation Traces von 1999 weiter, in der sechs großformatige Digitaldrucke in zwei Reihen an einer Decke hängen. Drei davon zeigen Searles mit Gewürzen bedeckten Körper, während die anderen drei nur den Abdruck ihrer abwesenden Gestalt wiedergeben. Wie die südafrikanische Künstlerin und Kuratorin Kathryn Smith schreibt, betonen diese einprägsamen Bilder von Anwesen- und Abwesenheit „die tatsächliche ‚Abwesenheit‘ der Körper der ‚Anderen‘ in der Geschichte, Politik und visuellen Kultur im Südafrika der Apartheid und darüber hinaus.“ Zwischen den Drucken sind Gewürzteppiche auf dem Boden ausgelegt, die ihren Duft ausströmen. Und unter den Bildern sind Waagen aufgestellt, mit den verschiedenen Gewürzen unterschiedlich gefüllt, verweisen sie auf die unmenschlichen Ansätze, den Wert von Menschen aufgrund ihrer Rasse einzustufen und zu bemessen.
Mikhael Subotzky *1981, Cape Town, South Africa
Mikhael Subotzky *1981, Kapstadt, Südafrika; Lebt und arbeitet in Johannesburg, Südafrika Angeregt von der Unmittelbarkeit der Dokumentarfotografie, wurde Michael Subotzky Anfang der 200er-Jahre für seine Serie Die Vier Hoeke (The Four Corners, 2004) bekannt: Er fotografierte den Alltag der Insassen des berüchtigten Pollsmoor-Gefängnisses in Kapstadt, in dessen Nachbarschaft er aufwuchs. Seitdem arbeitet er mit verschiedenen Medien, darunter Video, Film, Collage und Malerei. Zentral ist immer die kritische Untersuchung der Politik der Repräsentation und der Narrative in der bildenden Kunst. Sein Werk hat sich von der sozialen Dokumentation hin zur Befragung der kolonialen Geschichte und ihrer Ausprägung rassischer und sozialer Privilegien entwickelt. Dabei ist er sich seiner Mitschuld als weißer Südafrikaner durchaus bewusst. Die Filminstallation Moses and Griffiths, 2012, ist seine erste Arbeit mit bewegtem Bild. Sie beruht auf seinen Beobachtungen in Makhanda (früher Grahamstown), einer Stadt der südafrikanischen Provinz Ostkap. In dieser Reggion befinden sich zahlreiche Gedenkstätten für die Kap-Grenzkriege, 1779–1879 der langwierigsten Kämpfe der Indigenen gegen die europäsichen Kolonisten. Auf vier Leinwänden ist die Aufnahme zweier Schwarzer im Alter von 70 Jahren zu sehen. Bei ihnen handelt es sich um Fremdenführer, die in den historischen Bauten von Grahamstown – im 1820 errichteten Settlers National Monument, das den Beitrag britischer Siedler*innen zur Gesellschaft Südafrikas würdigen soll, und im Observatory Museum, das die Entstehungszeit der Diamantindustrie in Südafrika zeigt – arbeiten. Als Subotzky hörte, was die beiden Männer zu sagen hatten, war er über ihre voreingenommene und enge Sichtweise erstaunt, vor allem, weil sie die Gewalt des Kolonialismus und der Apartheit völlig ignorierten. Erst als er sie um ihre eigenen Geschichten bat, traten andere Erzählungen ans Licht. In den von Subotzky aufgenommenen Führungen wiederholen Moses Lamani und Griffiths Sokuyeka ihre offiziellen und auswendig gelernten Texte. Doch diese konstruierten Geschichten weichen dann ihren persönlichen Berichten, in denen sie über ihre Erfahrungen mit dem Leben und Arbeiten in Grahamstown sprechen. Die intimen Rückblenden sind voller Gefühle und Erinnerungen und stehen in deutlichem Kontrast zum durch die Institution vorgegebenen Narrativ. Subotzky berichtet, dass beide Männer empfanden, dass „es wie eine Heilung war, ein Forum zu haben, wo sie die Geschichten erzählen konnten, über die sie teilen wollen, und nicht jene, die von ihnen erwartet wurden.”