In dieser Kunstoper geht es um das Jetzt:
OPERA OPERA Allegro ma non troppo im PalaisPopulaire

OPERA OPERA Allegro ma non troppo ist ein Gesamtkunstwerk. Ein Gesamtkunstwerk über die Oper, die per se immer selbst Gesamtkunstwerk ist, die Kostüme, Licht, Architektur, Malerei, Theatralik einsetzt, mit Maskierung, Inszenierung, Performance arbeitet, die neue Erfahrungen von Raum und Klang schafft. Opera, das deutet der Titel der Ausstellung im PalaisPopulaire an, ist auch das Opus, das Werk an sich. Doch passt dieser Hang zum Dramatischen, Spektakulären, wirklich in unsere medialisierte, krisengeschüttelte Zeit? Ja, gerade jetzt, sagen Hou Hanru, der Künstlerische Direktor und Eleonora Farina und Bartolomeo Pietromarchi, die Kurator:innen des MAXXI, des römischen Nationalmuseums der Künste des XXI. Jahrhunderts. In Kooperation mit dem PalaisPopulaire haben sie dieses außergewöhnliche Projekt realisiert, das noch bis Ende August zu sehen ist.

Mit bedeutenden Protagonist*innen der italienischen Gegenwartskunst und zahlreichen internationalen Künstler*innen aus der Sammlung des MAXXI ist die Schau mehr eine Hommage an das Genre. Sie zeigt aus der Perspektive der bildenden Kunst die Oper als interdisziplinäres Labor für zeitgenössische Ideen, Versuchsfeld für neue ästhetische und gemeinschaftliche Strategien. Dabei verbindet Opera Opera, ganz im Sinne des 2021 verstorbenen Künstlers Jimmie Durham, dessen Andenken diese Ausstellung gewidmet ist, das Transzendente mit dem Alltäglichen, das Theatralische mit ironischer Distanz.

Unter diesem Motto haben Hou Hanru und sein Team das Ausstellungshaus konzeptionell gegliedert wie ein Opernhaus. Dabei beginnt die Bühne schon draußen, auf der Terrasse, vor dem Haus. Die Geräusche der Stadt vermischen sich mit dem Gesang von Suzan Philipsz‘ Soundinstallation Wild is the Wind, der aus den Bäumen klingt. Marinella Senatore, die 2021 für die Cruise Collection Schau von Dior eine spektakuläre Lichtinszenierung realisierte, zeigt in Berlin eine Lichtinstallation, die sich mit Volksfesten, Konzerten, Rummel, lang vermisster kollektiver Gemeinschaft assoziiert. Olaf Nicolai hat mit einer minimalistischen Bodenarbeit einen Ort der Meditation und des Wartens geschaffen. Die Besucher können sich von Justin Bennetts mystischem Oracle die unsichere Zukunft vorhersagen lassen. Innen geht es in der Rotunde mit Prelude weiter, der Sektion, die wie der musikalische Auftakt eines Stückes zum Thema führt. Hier findet sich The missing poem is the poem, Mauricio Nannucis lyrische Neonskulptur aus den späten 1960er-Jahren. Gleich nebenan schafft der Künstler und Architekt Philippe Rahms den Klaviertönen von Claude Debussys Cloches à Travers les Feuilles eine Soundarchitektur, die eine leere Ausstellungshalle fühlt.

Backstage heißt die Sektion im Untergeschoss, die hinter die Kulissen führt, den Themen Raum und Geschichte, Erinnerung und Archiv gewidmet ist. Vor der Galerie erwartet die Besucher Rosa Barbas Auftragswerk NO – Orchestra con nastro (2022) Die kinetische Filmskulptur arbeitet mit Klang, Licht, Celluloid und basiert auf Recherchen im Mailänder Archivio Storico Ricordi. Das legendäre Privatarchiv bewahrt die Originalhandschriften fast sämtlicher Verdi- und Puccini-Opern, aber auch Manuskripte von zeitgenössischen Komponisten wie Luigi Nono auf, dessen Notationen von Barbas Skulptur dekonstruiert und neu interpretiert werden.

Im Zentrum der Galerie führt Luca Vitones Sonorizzare il luogo (Grand Tour) auf eine musikalische Reise durch die Regionen Italiens, ein kollektives Gedächtnis, das Klänge, Orte und Kulturen vereint. Neben Modellen von Opern-und Theaterhäusern, die unter anderem von Aldo Rossi stammen, findet sich Fabio Mauris Videoinstallation Senza ideologia von 1975. Sie setzt sich mit Fragmenten aus Georg Wilhelm Pabsts von den Nazis verbotenem Anti-Kriegsfilm Westfront 1918 (1930) und mit totalitären und nationalen Ideologien auseinander, deren Propaganda oft auf idealisierte , Körperbilder und Inszenierungen zurückgreift.

Die Verschränkung von Alltäglichem, Ideologie, Mythos, Schönheit und Gewalt durchzieht die Ausstellung wie ein roter Faden - auch in der Sektion Theatre of the Everyday im Obergeschoss. An deren Beginn steht eine performative Videoarbeit von Jimmie Durham A Proposal for a New International Genuflexion in Promotion of World Peace ( 2007). Neben Michelangelo Pistoletto’s transzendenter Lichtskulptur Quadri di fili elettrici finden sich die fotografischen Selbstinszenierungen von Luigi Ontani: Die 24 in riesigen goldgerahmten Portraits entstanden 1975 und hinterfragen Mythen und Geschlechterrollen. Das Werk korrespondiert mit einer Fotoarbeit von Vanessa Beecrofts minimalistischer Performance VB74, in der sie einen Chor aus nackten, verschleierten Frauen aufstellt, der an Marien- und Passionsdarstellungen aus der Renaissance und dem Barock denken lässt. Dieser idealisierten Darstellung steht die Inszenierung von schwarzen, versklavten Körpern in Kara Walkers Scherenschnittarbeit gegenüber, die Rassismus, Sexismus, brutale Unterdrückung in den Fokus nimmt. Sie hat überraschende Verbindungen zu Preparing the Flute, der animierten Miniaturbühne des südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Sie entstand 2005, während seiner Arbeit an einer Inszenierung von Mozarts Zauberflöte . Das Werk, das sich mit Geschichte und Erinnerung, der Rolle von Mozarts „aufklärerischer“ Oper auseinandersetzt, ist auch Trauerarbeit: Im selben Jahr zeigte Kentridge die Ausstellung Black Box/Chambre Noire im Deutsche Guggenheim, in der er die dunkle Seite der Aufklärung, die europäischen Kolonialbestrebungen des frühen 20. Jahrhunderts und den Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika untersuchte. Mit Poesie, Schönheit und Ironie dringt OPERA OPERA in die kollektive Geschichte, in unseren Alltag vor, eine künstlerische Huldigung an die Dramen und Freuden des Lebens.